Kultur

…. Wir schreiben diesen Newsletter in einer Situation, in der die Welt Kopf steht und  ein Virus grassiert, das das Potenzial hat, in wenigen Monaten unser Leben dauerhaft negativ zu verändern. (Newsletter des Fusion Festivals April 2020, redaktionell bearbeitet)

Die Gesundheit wird als höchstes Gut dieser Gesellschaft definiert, dem sich nicht nur kapitalistische Wirtschaftsinteressen, sondern auch jegliche Form von selbstbestimmten Lebens unterordnen muss. Es herrscht ein Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit, von dem noch niemand sagen kann oder will, wann und wie dieser wieder aufgehoben werden soll und was danach kommen wird.

Social distance, Quarantäne und Isolation sind die Mittel der Stunde, um den Kampf gegen das Virus nicht komplett zu verlieren. Einige Maßnahmen sind eher aktionistisch als gut durchdacht, was heute gilt, ist morgen schon wieder Makulatur und der Erfolg der Strategie von flatten the curve ist immer noch mehr Hoffnung als Gewissheit.

Die jahrelang kaputt gesparten Gesundheitssysteme der reichen Industrienationen stehen kurz vor dem Kollaps und der Kapitalismus vor dem Offenbarungseid des Systemabsturzes.  Die Krise gerät zur Katastrophe, deren Folgen unabsehbar sind. Entwicklungs- und Schwellenländer wird es noch weit härter treffen als uns. Dort werden die Menschen in den kommenden Monaten bei schlechter oder fehlender medizinischen Versorgung ohne Beatmungsgeräte einfach sterben.

Empathie für Schwächere hat in dieser Gesellschaft eine kurze Halbwertszeit, das haben wir schon in der „Flüchtlingskrise“ gelernt. Humanitäre Katastrophen in Syrien und im Jemen oder die Flüchtingssituation an den Außengrenzen Europas erregen hier leider nur noch wenige Gemüter.

Ethische Grundsätze von der gleichen Werthaftigkeit allen Lebens entpuppen sich nicht erst bei der Nichtrettung von Geflüchteten im Mittelmeer zu einer Lüge unserer Wohlstandsgesellschaft. Wenn es jetzt ums wirtschaftliche Überleben und den Systemerhalt geht, werden voraussehbar innerhalb von wenigen Wochen des Ausnamezustands ethische und moralische Prinzipien über Bord geworfen werden.

Eine entscheidende Frage in dem unvermeidlichen ethischen Konflikt wird sein, ob denn der gebotenen Schutz menschlichen Lebens absolut gilt und ihm alle anderen Freiheits- und Partizipationsrechte sowie Sozial- und Kulturrechte bedingungslos untergeordnet werden dürfen oder ob ein allgemeines Lebensrisiko von jedem zu akzeptieren ist?

Vor allem die  sog. Risikogruppen werden in dieser Fragestellung schmerzhaft damit konfrontiert, dass menschliches Leben nicht nur wertvoll, sondern auch endlich ist.

Und wir? Sind wir alle zu Zuschauer:innen degradiert? Mit großer Sorge sehen wir, wie Grund- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt und Affinitäten mit Überwachungspraktiken diktatorischer Herrschaftssystemen offen salonfähig werden. Das alles passiert, ohne dass es einen relevanten systemkritischen Diskurs dazu gibt. Wir schauen protestlos zu, wie das Diktat von Corona die Demokratie mit unseren Freiheiten und Rechten in die Knie zwingt.

Wir sitzen seit Wochen isoliert zu Hause in der Hoffnung, dass die Pandemie möglichst schnell vorüber geht und wir wieder in unser normales Leben zurück finden können. Niemand kann heute sagen, wie Corona unsere Gesellschaft und unser Leben verändern wird und ob es je wieder so werden wird, wie wir es bis vor kurzem kannten. Wir haben daran große Zweifel.

Angesichts der Lage und der Aussichten, die wir jetzt sehen, können wir  das Festival in diesem Jahr nicht durchführen. Das ist bei aller Bitterkeit der Entscheidung vor allem der gemeinsamen Verantwortung geschuldet, die wir alle haben, damit die Covid 19 Pandemie eingedämmt werden kann. 

Dies bedeutet, dass dieses Jahr kein Fusion-Festival stattfinden kann. Die nächste Fusion werden wir vom 30.6. – 4.7. 2021 feiern. 

Für uns als Kulturkosmos bedeutet diese Absage, dass auch wir erst mal schauen und überlegen müssen, wie wir das ungeplante und nicht mit Rücklagen abgesicherte Fusion-freie Jahr überbrücken können. Niemand kann sagen, was in 6 Monaten ist, aber wir sehen uns bis jetzt nicht existenziell bedroht und brauchen (noch) keinen Rettungsschirm. Im kommenden Jahr müssen wir aber nicht nur die Fusion finanzieren, auch das at.tension-Festival wird von uns einen mittleren sechsstelligen Betrag supported. Zudem wollen wir diesen Sommer auch nutzen, um notwendige und geplante Projekte und Bauvorhaben zur Vorbereitung der kommenden Festivals durchzuführen. Wir werden uns daher vorbehalten, den Ticketpreis fürs kommende Jahr moderat zu erhöhen. In dem Fall würden wir dann auch von allen Ticketholder:innen einen Nachschlag verlangen.

Das Fusion Festival wird, neben dem Kulturkosmos, vor allem durch das Zusammenspiel von verschiedenen Gruppen, Vereinen und Kollektiven realisiert. Die Corona Krise und die Absage des Festivals bedeutet für viele Vereine und  Projekte aus unserem Umfeld eine ökonomische Katastrophe. Sie sind existenziell bedroht und bekommen keine oder wenig staatliche Unterstützung.

Wir haben daher einen Solidaritätsfonds zur Unterstützung unseres Netzwerkes über die Kulturkosmos Stiftung eingerichtet. Dieser Spendentopf soll existenziell gefährdeten Gruppen aus unserem Netzwerk das Überleben in dieser Krise erleichtern, sowie falls nötig auch das at.tension-Festival 2021 absichern.

Auf dieses Spendenkonto können, unabhängig der Stornogeschichte, alle spenden, die den Kulturkosmos, unser Netzwerk sowie das Fusion- und at.tension Festival 2021 unterstützen wollen.

Kulturkosmos Stiftung gGmbH

IBAN: DE36 4306 0967 1116 6858 01

Diejenigen, die jetzt in der Politik die Entscheidungen treffen, kennen unsere Lebensrealitäten und unsere Festival-, Club- und Subkultur nicht im Geringsten. Ein Shutdown der Club- und Festivalkultur über sehr lange Zeit, wie er von der Politik nicht ausgeschlossen und insgeheim bereits angedacht wird, würde das Ende eines Großteils unserer Club- und Festivalkultur bedeuten, unser Leben dauerhaft unerträglich einschränken und viele Strukturen darin unwiederbringlich zerstören.

Das was uns jetzt durch das Virus gerade genommen wird, werden wir, ohne dafür zu kämpfen, nicht einfach wieder bekommen. Wir dürfen daher nicht tatenlos abwarten, was am Ende übrig bleibt. Den Entscheider:innen in dieser Krise muss klar und deutlich vermittelt werden: Kultur ist systemrelevant! und wir werden nicht hinnehmen, dass für den Kampf gegen das Virus alles geopfert wird, was nicht der Gesundheit oder der Wirtschaft dient.

Es ist höchste Zeit, einen offenen Diskurs zu führen, wie wir nicht nur unser Gesundheitswesen, sondern auch unsere Kultur, Bürgerrechte und unser Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben über diese Krise hinaus retten!

Ländergrenzen, Einreiseverbote, innerdeutsche Grenzen führen nur zu Grenzen in den Köpfen der Menschen und werden das Virus nicht besiegen.

Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker!

Wenn sich diese Gesellschaft durch diese Krise fundamental ändern wird, dann ist es an uns allen, dies, wo immer wir können, zum Besseren zu drehen und zu retten was uns wichtig ist.

Der Kampf um unsere Zukunft hat gerade begonnen!

Quelle: Newsletter des Fusion Festivals